Petanque aktuell blickt auf die Sensations-EM zurück und gibt eine kleine Analyse.

Die Sensation liegt nun schon einige Tage zurück, doch sicher noch lange nicht vergessen. Wir sind stolz auf unsere Jungs. Wir haben das Gefühl ein Teil davon zu sein. Ein Teil von dem, was sich jetzt Europameister nennt. Der Zusammenhalt war groß. Ganz Bouledeutschland ist stolz auf die Jungs. Stolz auf Matthias Laukart, Daniel Reichert, Tobias Müller und Moritz Rosik. Ihr habt Europa gezeigt, dass wir nicht mehr die Nation sind, die gegen die „Großen“ die Nerven verliert. Dass wir uns nicht mehr mit einem neunten oder fünften Platz zufrieden geben müssen. Und welche Rolle spielt eigentlich Sascha Koch, der Trainer? Spielt er überhaupt eine Rolle? Ist er maßgebend beteiligt am Gewinn? Die Antwort ist aus unserer Sicht ein klares „Ja“. Sascha Koch formte die Mannschaft, gab den vieren ein Jahr nach dem 5. Platz in Frankreich bei der WM erneut die Chance enger zusammen zu wachsen und zu reifen. Ja, reifen ist etwas wichtiges in unserem Sport. Wer gewinnt schon das erste Turnier mit einem völlig neuen Partner? Jahrelanges Zusammenspielen machen das Leben in Sachen Motivation, Spielverständnis im Team, gleiche Marschroute, Routinen und vielem mehr deutlich einfacher. Ist es Zufall, dass die ersten Europameister, die Deutschland jemals stellte, vereint aus der besten Mannschaft der vergangenen Jahre, PCB Horb, kommt? Deutschland hat viele gute Individualisten, doch sind drei gute Spieler auch gleich ein gutes Team?

Moritz Rosik – Ergänzung mit Köpfchen

In diesem Jahr stimmte einfach alles. Die Zusammensetzung, der Wohlfühlfaktor und auch ein altruistischer Moritz Rosik, der am Ende des Turniers einen einzigartigen Auswechselspieler spielte, der der Mannschaft nie das Gefühl gab, dass er auf Fehler wartet und hinein möchte, sondern hoffte, dass er nicht rein muss und dennoch stets bereit war und so seine Rolle voll erfüllte. Doch keinesfalls nur als Auswechsel machte Moritz eine gute Figur. Als Vorleger hatte auch er Topquoten in der Vorrunde zu verbuchen. Und den größten Beitrag zum Titelgewinn lieferte er, als er gegen Italien freiwillig raus ging, da er trotz gutem Spiel leichte Unsicherheit spürte. Auch das können nur die wenigsten in solchen Momenten. Hut ab!

Matthias Laukart – Carreaux-Maschine

Nun muss man auch zwei Dinge hervorheben bei dieser EM. Auf hohem Spielniveau ließ der Boden ein offensives Spiel extrem gut zu. Auf sandigem Boden, nur gerade davor und die Kugeln rutschen rein, war der Boden wie gemacht für Matze. Der wohl beste deutsche Tireur musste zu Beginn des Turniers direkt einen kleinen Rückschlag verdauen, als er mit 17 Punkten aus dem Tireur-Wettbewerb flog und deutlich unter seinen Möglichkeiten blieb. Umso stärker dafür, wie sehr er sich zurück ins Turnier kämpfte und ablieferte. Viele Carreaux machten wenige Löcher doppelt und dreifach wett und wenn man bedenkt, dass Carreaux oder enge Palets wie zwei Kugeln zählen, brachte Matze deutlich die Meisten Kugeln in diesem Turnier, wenngleich auch seiner Position zu verdanken.

Daniel Reichert – Man of the EM

Wenngleich Matze seinen Job hätte sicherlich kaum besser machen können, so ist Daniel für uns der Man of the Europameisterschaft. Weshalb? Was Daniel in den schwierigen Spielen gegen Italien und Frankreich ablieferte war einzigartig. Wir sehen Matze und Daniel auf gleichem Niveau, doch die Milieu-Position ist deutlich schwieriger zu bespielen, als die Tireur-Position und Daniel machte einen hervorragenden Job. Wahnsinns-Quoten aus der Mitte sind verdammt selten zu beobachten, doch Daniel hatte sie! Chapeau! Unser Man of the EM.

Tobias Müller – Leger, der alles kann

Bei der EM als Vorleger, doch auch bekannt für starke Tireur-Auftritte und hohem Niveau. Wenn bei ihm alles stimmt, sicherlich auch einer der Besten Spieler, die Deutschland zu bieten hat und ja, an diesem Wochenende stimmte alles. Tobse legte verdammt stark. Man merkte ein wenig Nervosität bei der ein oder anderen festgehaltenen Kugel, aber die waren nicht der Rede wert, da sowohl er, als auch sein Team solche Kugeln locker wieder reinholten. Jedoch noch viel beeindruckender, vor allem im Finale, die Schusspower und Nerven, die Tobse an den Tag legte. Keinesfalls selbstverständlich, mal eben ein Royal mit zwei Treffern durchzuziehen – und das in einem EM-Finale.

Das Momentum

Ein großer Faktor in unserem Sport. Wer das Momentum auf seiner Seite hat gewinnt viele Spiele. Man sagt zwar immer: „Jede Kugel ist wichtig“ und das stimmt natürlich, aber es gibt wichtige und verdammt wichtige Kugeln. Eine verlegte Kugel zu Beginn einer Aufnahme kostet eine Mannschaft in der Regel einen Punkt. Ein Loch für 5 kostet eine Mannschaft 6 Punkte. Fünf Machen oder einen abgeben. Das ist ein großer Unterschied. Wer sich raussuchen sollte, welche der beiden Kugeln er bringen möchte, wenn er die Wahl hätte, sollte sich stets für die Zweite entscheiden.

Und genau dieses Momentum lag bei den wichtigen Spielen bei den Deutschen. Nein, es ist kein Glück, das für das Momentum verantwortlich ist, sondern Nervenstärke und Konzentration, der Wille, die Kugel zu bringen und gute Kondition – vor allem im Kopf. Wer schon einmal Boule gespielt hat, weiß, was damit gemeint ist.

Man stelle sich vor, dass Daniel oder Tobse in der 5er-Aufnahme im Finale ein Loch schießen. Das bedeutet dann direkt ein Punkt für Frankreich und keine 5 Punkte bei uns. Zudem bedeutet das, dass man selbst und sicherlich auch die Partner geknickt sind, da eine große Chance ausgelassen wurde, der man am Ende des Spiels hinterhergetrauert hätte: „Hätten wir doch da die 5 gemacht, dann hätten wir das Spiel gewonnen.“ Nur diesmal haben wir die 5 gemacht. Wir haben mal gezeigt, dass wir in der Lage sind, solche Aufnahmen nach hause zu schaukeln, vor allem dann, wenn der Gegner es uns nicht zugetraut hat. Eine Genugtuung und ein Gefühl, das vor allem auch Mut für die Zukunft macht.

Turnierverlauf

Man darf bei der Nachbetrachtung nicht ganz vergessen, dass Fortuna uns auch in der Auslosung beglückte. Vor allem am Anfang und Ende des Turniers. Meine persönliche Einschätzung zu unserem Niveau vor der EM war: Es gibt vier Mannschaften, gegen die wir wohl keine Favoriten sind: Dazu zähle ich Frankreich, Italien, Spanien und Belgien. Dann gibt es einige Mannschaften, mit denen wir auf Augenhöhe sind und bei gutem Spiel Favorit sind. Mannschaften wie Schweden, Holland, Dänemark, … Und viele Mannschaften, gegen die eine Niederlage nicht im Programm sein darf: Slowakei, Slowenien, Ungarn, Jersey, …

Vorrunde – Durch gute Losung schafften wir es erstmals mit vier Siegen in eine EM zu starten. Hier spielte natürlich Fortuna auch eine Rolle, denn Slowakei, Schottland, Andorra und Luxemburg sind Mannschaften, gegen die wir durchaus Favorit sind. Frankreich in Runde 5 war dann nur noch Ergebniskosmetik und ein erstes Kräftemessen, das wir verloren, aber wir konnten mit einem 4:1 mal von oben herab spielen. Wir hatten eine gute Platzierung und waren das gesetzte Team, das auf ein schlechteres Team wartet.

Achtelfinale – Mit Italien hatte man dann vermeintlich Pech und wenn der Gegner Diego Rizzi heißt, heißt das sicherlich alles andere als Selbstläufer. Doch wir wurden unserer Rolle als gesetztes Team gerecht und wiesen die gebeutelten Italiener, die schon zwei Partien zuvor verloren hatten und auch in diesem Spiel keinen guten Start erwischten, in ihre Schranken und zeigten, dass wir ebenfalls Boule spielen können. Die Italiener erwischten keine gute EM und beendeten diese mit einer Bilanz von drei Siegen und drei Niederlagen. Und wir waren voll im Turnier. Das Spiel gegen Italien brachte uns nicht nur den ersten Sieg über eine große Nationen seit langer Zeit, sondern ließ uns auch gerechtfertigt um den Titel träumen. Denn auch die Leistung, die in diesem Spiel an den Tag gelegt wurde, war mehr als nur Hoffnung weckend. Man musste sie nur noch konservieren.

Viertelfinale/ Halbfinale – Vielleicht hätte an diesem Wochenende kommen können was wolle, doch ich bin anderer Meinung. Ich finde Fortuna hatte uns auch nach dem Achtelfinale gesegnet, denn Luxembourg und Holland sind keinesfalls unbezwingbare Gegner. Man kann zwar behaupten: „Wer gewinnen will, muss gegen alle gewinnen“ und das stimmt natürlich auch, dennoch braucht man auch im Pétanque-Sport Kräfte, die gut eingeteilt werden müssen und weniger starke Gegner machen einen Sieg in meinen Augen einfach wahrscheinlicher. Wäre im Viertelfinale noch Spanien und im Halbfinale Belgien gekommen und wir hätten vielleicht das Momentum nicht mehr ganz auf unsrer Seite gehabt oder hätten viele Kräfte in diesen Spielen lassen müssen, hätte die EM vielleicht einen anderen Ausgang gehabt als die Goldmedaille. Vielleicht hätten die Kräfte dann im Finale nicht mehr gereicht, auch wenn ich tatsächlich glaube, dass an diesem Wochenende alles hätte kommen können – egal in welcher Reihenfolge.

Luxemburg war ein dankbarer Gegner, denn als Tireur den Saarbrücker Luc Catazzo als Gegner zu haben, der schon reihenweise von Horb in der Bundesliga geschlagen wurde und auch in der Vorrunde bereits besiegt wurde, ist einfach ein Vorteil. Auch die Holländer im Anschluss zeigten nicht viel Gegenwehr, auch dem geschuldet, dass Deutschland keinen Funken Hoffnung für die Holländer aufkommen lies. Aber Holland, die gerade aus einem Spiel kamen, das lange dauerte und vielleicht dort ihre letzten Körner verbrauchten, trafen auf den schnellsten Sieger der Viertelfinals – Deutschland.

Finale – Das Finale war dann die Vollendung eines magischen Wochenendes. Eine Quote von 86%, die jedoch realistischer bei 140% liegt, wenn man ein Carreau oder ein Palet als zwei gebrachte Kugeln zählt – und das muss man im Petanque tun – reichte dann, um die zu defensiven Franzosen zu schlagen. Frankreich war nicht vorbereitet auf eine solche Leistung der Deutschen und schon gar nicht auf die Konstanz, die wie schon oben erwähnt, die die Deutschen vor allem im Schießen an den Tag legten. Auch wenn in Frankreich viele bereits jetzt wieder Konsequenzen fordern, da man ja gegen Deutschland nicht verlieren darf, muss man eindeutig sagen: Die Franzosen haben sehr gutes Boule gespielt. Die Franzosen zeigten eine Klasse Leistung. Die Deutschen spielten nur einfach zu gut und noch besser. Mickael Bonetto beispielsweise machte kein Loch und viele Carreaux, doch insgesamt zu defensiv agierten die Franzosen und schossen nur halb so viel wie die Deutschen und liesen so quasi zu, dass die Deutschen viel mehr Kugeln bringen können durch Carreaux. Vielleicht auch dem geschuldet, dass in Frankreich gerade ein Umbruch stattfindet und die französische Nationalmannschaft sich erst wieder festigen und finden muss. Ob Suchaud, Lacroix, Rocher und Quantais in ihren besten Zeiten ähnliche defensiv-Fehler passiert wären ist wohl nicht zu beantworten. Aber sei es wie es ist – wir nutzten es einfach aus.

Früchte geerntet

Aber all das ist kein Glück, sondern harte Arbeit. Angefangen bei der Gedankenarbeit bei der Nominierung bis hin zu einer Gesamtleistung, die nur durch gezieltes Training und hohe individuelle Leistungen zustande kommen kann. Auch ein Team, das sich kennt und auch freiwillig in der Freizeit Turniere spielt, vertritt nun Deutschland. Kein zusammengewürfeltes Team, sondern Freunde und Teamkollegen. In den vergangenen Jahren begleiteten häufig Lospech oder dumme Niederlagen in der Vorrunde, die dann zu „Lospech“ führten, und nicht derart konstante Leistungen, den Weg der Deutschen auf internationalen Turnieren. Wir spielen gutes Boule, wir haben tolle Individualisten und wenn die mal liefern, wie am vergangenen Wochenende, auch eine hervorragende Nationalmannschaft. Endlich haben wir uns mal belohnt und haben gezeigt, was wir eigentlich können. Endlich hat Bouledeutschland die Früchte jahrelanger Arbeit geerntet.

Ausblick

Wie kanns nun weitergehen? Wir wollen als nächstes selbstverständlich Weltmeister werden. Wer nun so denkt, der hats nicht so ganz verstanden. Wieso? Wir spielen einfach nicht immer auf diesem hohen Niveau, aber vielleicht nun häufiger und leichter auf dem Niveau als noch vor der EM. Sicherlich hat uns dieses Ergebnis mehr Respekt international verschafft. Nicht der Titel, sondern die Art und Weise zu spielen. Die starke Leistung. In Zukunft wird sicherlich kein Team mehr Deutschland unterschätzen, auch wenn wir nicht immer abliefern werden wie in Santa Susanna. Wichtig wird nun auch sein, diese Leistung zu konservieren, lange noch von diesem Erfolg zu profitieren und den Schwung ins gesamte Deutsche Pétanque zu übertragen. Wir sind jetzt wer. Wir sind Europameister. Und das tut gut. Jungs, wir sagen Danke für ein historisches Ereignis und auch wenn wir realistisch bleiben müssen, wollen wir weiter nach den Sternen greifen. Allez les Boules!

Ein Kommentar von Jannik Schaake