Ein Gastbeitrag von Günter Roth

Nationale Meisterschaften im Pétanque 2023 (Triplette): Deutschland gegen Frankreich (ein virtuelles Fernduell)

Am vergangenen Wochenende fanden in Deutschland wie Frankreich die nationalen Meisterschaften im französischen Volkssport „Pétanque“ statt. Dazu folgen hier einige Eindrücke und Auswertungen der Videos. Dieser „Fernvergleich“ liefert neben der Bestätigung des Altbekannten durchaus auch Überraschungen. Dass der Vergleich nur eingeschränkt aussagekräftig ist, angesichts unterschiedlicher Terrains, Zuschauerzahl usw. und dass eine direkte Konfrontation sicher etwas ganz anderes ist, scheint selbstverständlich, soll hier aber ausgeblendet bleiben.

Insgesamt zeigten die neuen deutschen Meister im Pétanque (Triplette) 2023, Michelè Everding (Pointeur), Dominique Tsuroupa (Tireur) und Sascha von Pleß (Milieu) auch laut „harter“ Daten ein durchaus hochklassiges Spiel, das den Vergleich mit dem großen Meister und dem Mutterland des Pétanque, France, nicht scheuen muss: So zeigt die Auswertung des Endspiels beim deutschen Siegerteam um Sascha von Pless ca. 70% erfolgreich gelegte oder geschossene Kugeln und beim französischen Siegerteam um Moineau Feltain eine nur geringfügig bessere Quote von ca. 72%.[1]

Beeindruckend im deutschen Endspiel war insbesondere Dominique Tsuroupas „Feuerwerk“ an Schüssen, der, sehr cool und locker wirkend, eine Trefferquote von über 72% auf das Berliner Terrain zauberte und damit sogar noch die Quote des französischen Gegenübers im Endspiel (M. Helfrick) übertraf. Dass Tsuroupa auch nervenstark die letzte Kugel zum Sieg legte (als einzige im gesamten Spiel), indem er eine zu kurz geratene Kugel seiner Mitspieler „hineindrückte“, unterstreicht seine Klasse und Nervenstärke. Eine ähnliche Coolness und Extraklasse zeigte aber auch Sascha von Pleß als Milieu, der den Höhepunkt und die Vorentscheidung im Endspiel besorgte: Trotz eines erdrückenden Kugelnachteils wagte er einen äußerst mutigen, ja frechen Schuss, wobei er mit einem krachenden „Retro“ offenbar auch die Gegner beeindruckte und was nicht nur zum überraschenden Punktgewinn in dieser für viele vielleicht schon verloren geglaubten Aufnahme führte.

Nach diesem Spektakel sollte das bis im ersten Drittel des Spiels ebenbürtige saarländische Team mit Patrick Klement (Leger), Hanns-Joachim Neu (Schießer) und Uwe Pitz (Mitte), keinen einzigen Punkt mehr erzielen, so dass am Ende ein klares 4-13 als Ergebnis feststand. Im unterlegenen Team bestach trotzdem vor allem der Leger, Patrick Klement, der stoisch und technisch unspektakulär, eine erfolgreiche Kugel nach der anderen legte (77%). Sein Gegenüber, „Mika“ Everding kam dagegen nur auf eine Quote von gut 60% erfolgreich gelegter Kugeln, dafür beeindruckte dieser stilistisch, mit extremen „Portées“ aus der Hocke, die er oft nur wenige Zentimeter von der Zielkugel (cochonnet) herunterplumpsen ließ. Dass Everding auch einige schlechtere Kugeln legte, nahm er vermutlich in Kauf und es blieb angesichts der überlegenen „Feuerkraft“ seines Teams folgenlos. Allerdings ließen eben die Gegner ab der besagten „Wende“ auch etwas nach (ob eine Änderung der defensiven Taktik oder eine frühere Umstellung geholfen hätte, wer weiß).

Wie auch immer: Dass ein druckvolles Spiel des Gegners, über kurz oder lang zu Fehlern oder zum Kippen eines Spiels führt, ist bekannt und wird durch das französische Endspiel unterstrichen. Hier bezauberten vor allem die reihenweise exzellenten, blitzsauberen Portées aus der Hocke, vor allem von Thierry Grandet (80%), als Basis des Erfolgs. Dazu passten wiederum die recht geringen Erfolgsquoten beim unterlegenen Team mit Jacky Baud, Jérémy Guiquero und Louis Rieffel (54% beim Legen und 57% beim Schießen). Entsprechend kam die Überraschungsequipe, die im Viertelfinale noch das Team um Michel Loy mit 13:2 schlugen, im Finale rasch ins Hintertreffen und kaum zur Entfaltung, mit einem Endergebnis von 3:13.

Vergleicht man noch die Rahmenbedingungen und Art der Video-Übertragungen der beiden Endspiele, offenbaren sich aber wiederum die bekannten, eher krassen Unterschiede: So kam die TV-Übertragung aus Frankreich gewohnt hochprofessionell daher, mit Superzeitlupen, verschiedenen Kameraeinstellungen, Schwenks usw., zwei Kommentatoren und voll besetzten Tribünen mit Hunderten von Fans. Dabei ist unbekannt, wie viele Profis bei der französischen Veranstaltung und Übertragung beteiligt waren und welche Summen dafür aufgewendet wurden. In Deutschland gab es immerhin und erfreulicherweise auch eine Live-Übertragung durch ein Zweierteam (Sandra Pahl, Kamera, Martin Koch, Moderator) des nationalen Verbandes (vermutlich ehrenamtlich). Entsprechend wurden nur zwei feste Kameraeinstellungen angeboten, welche das Geschehen manchmal nur erahnen ließen, die Leitung brach des Öfteren zusammen und es gab natürlich auch deutlich weniger Zuschauende. Indes waren die Kommentare durchaus charmant, mit sonorem, ruhigem Ton und fachlich meist kompetent, wenngleich manchmal etwas kumpelhaft und mit kleineren Aussetzern (nicht nur als fehlender Ton, sondern auch bzgl. Spielsituation, Regeln oder Namen der Spielenden). Angesichts der Rahmenbedingungen und einer Live-Kommentierung über zwei Tage ist das aber zu verschmerzen und die Leistung des Übertragungsteams verdient uneingeschränkt Respekt und Anerkennung. Auffällig war im Übrigen noch die Auswahl der Partien, wo einige „Kracher“ liegen gelassen wurden, zugunsten weniger spektakuläre Begegnungen und eher unbekannten Spielenden.

Zusammengefasst scheint das deutsche Spitzen-Pétanque im deutsch-französischen Vergleich weiter aufzuholen und es darf für die Zukunft gehofft werden, auf internationale Erfolge und eine weitere Professionalisierung im Verband, zumal Pétanque auch in Deutschland an sich das Zeug zum Volkssport hat. Übrigens zeigt diesbezüglich das Beispiel Frankreich, dass es mit einer großen Breite an jungen wie älteren, weiblichen wie männlichen und auch minder begabten Spielenden auch eine Weiterentwicklung an der Spitze geben dürfte. Denn die Breite im Pétanque in Deutschland ist bekanntlich noch weiter vom französischen Niveau weg (aus Frankreich werden min. ca. 300 Tsd. Spielende mit Lizenzen berichtet, aus Deutschland nur 20 Tsd.) als an der Spitze, wie der Vergleich der beiden Meisterschaften gezeigt hat.


[1]       Ein Treffer oder eine Rückeroberung des Punktes durch Legen wurde mit 100% bewertet, Streifschüsse oder nicht erfolgreiche gelegte Kugeln (ohne „Reprise“) mit 75, 50 oder 25% gewertet, je nach Qualität.

Vielen Dank für diesen Beitrag – gerne mehr davon!

Hier die Videos der beiden Spiele: